Mittwoch, 19. Juni 2019

Mobilität im 18. Jahrhundert (Teil 3) Auswanderung auf dem Land – mobility during the 18th century (part 3) emigration in the countryside


„Der Deutsche ist weder gedrückt genug – wenn man etwa die Pfalz und besonders den reformirten Theil der Pfalz, der wohl der grösste ist, ausnimmt – um sich den vielen Übeln, die eine jede Revolution zur Folge hat, unterziehen zu müssen …“ schrieb Reichardt in seinen Briefen 1792[1]. Tatsächlich lässt sich nach dem Deutschen Bauernkrieg feststellen, dass die Bauern im Hällischen mit der Herrschaft nie ernsthaft unzufrieden waren. Man hört nicht einmal etwas von "Aufruhr und Beschwerden"[2].

„The German is neither too much pressed – when we exclude the Palatine and especially the reformed portion, which is the biggest – to undergo the evils of a revolution …” wrote Reichardt in his letters in 1792. Indeed it is noticeable after the German Peasant’s war, the peasants in the territory of Hall were never earnestly dissatisfied with their rulers. You even don’t hear of "revolt or complaints".

Während um 1600 die Bauern Leibeigene waren, ging die Zahl der Leibeigenen danach zurück. Leibeigene durften allerdings ohne vorherige Aufhebung der Leibeigenschaft Bürger in einer anderen Stadt werden, auch wenn sie das in Hall selbst nicht durften[3]. Der Freikauf aus der Leibeigenschaft war für erst 20 dann 15 Gulden jederzeit möglich. Man hatte schon im späten 17. Jahrhundert, aber auch im frühen 18.Jahrhundert verstärkt darüber im beraten, ob man die Leibeigenschaft nicht ganz aufheben wolle, da sie als unrentabel galt und der Verwaltungsaufwand größer als der Nutzen schien[4].

In 1600 the peasants were serfs, but the number of them declined afterwards. Though the serfs could become citizen of another town without a previous abolition of the serfdom, however they could not do so in Hall itself. The ransoming from serfdom was always possible for 20 and later 15 florins. The rulers had debated during the late 17th and early 18th century about the complete abolition of serfdom, because it was noticed as unprofitable and the administrative expenses were bigger then the benefit.

Detail von Vier Montatsbildern, Tempera auf Leinwand, 2. Hälfte 17. Jh. - Detail from four month-pictures, Tempera on canvas, 2nd halve of 17th century (Hällisch-Fränkisches Museum, Foto: Kim Krawiec)


 
Der größte Wandel in der Landwirtschaft in der Gegend rund um Hall, war wohl die Aufgabe des Weinanbaus. Im 17. Jahrhundert wurde der Weinanbau noch von Seiten der Stadt durch Subventionen gefördert. Nach 1750 wurde das eingestellt. Die Weinberge wurden in Grasraine und Obstgärten umgewandelt[5]. Darüber hinaus kam es zu zahlreichen Innovationen, die vor allem durch den Kupferzeller Pfarrer Johann Friedrich Mayer (1719-1798) vorangetrieben und durch seine Publikationen wie „Beyträge und Abhandlungen zur Aufnahme der Land- und Hauswirthschaft nach den Grundsätzen der Naturlehre…“ (1769-1784) einer breiteren Öffentlichkeit bekannt gemacht wurden. So untersuchte Mayer beispielsweise den Einsatz des Haberrechens und die wirtschaftlichen Vorteile gegenüber der Sichel bei der Getreideernte[6].  

Nicht nur in die landwirtschaftlichen Abläufe sondern auch in die dörflichen Gemeinschaften griff die Abschaffung der Allmenden ab den 1760ern ein. Verschiedene Faktoren trugen allerdings dazu bei, dass in der Gegend der Anteil der Landleute mit einem auskömmlichen Bauerngut innerhalb der Dörfer immer stärker zurückging. Eine Statistik von um 1720 gibt für das hällische Territorium nur "65 ganze Bauern, 480 halbe Bauern, 364 Viertelsbauern, 612 Söldner [Kleinstbauern ohne Besitz von dem man leben konnte] und 97 Beisitzer" an[7]
Die vielen Amtsrechnungen, die ich über ein Jahrzehnt durchgeschaut habe, geben auch einen Eindruck vom Wert der ganzen und halben Höfe. So hat ein großer Hof zumeist etwa einen Wert von etwa 1.400 Gulden, während ein halber Hof zwischen 700 und 800 Gulden wert war.
Das Los der hällischen Bauern scheint aber immerhin nicht ganz so hart gewesen zu sein wie das der Leute der Mainhardter Gegend, die unter dem Niedergang der Glasherstellung nach dem Dreißigjährigen Krieg litten und ab 1750 erfolglos gegen ihre Herrschaften aufbegehrten[8].

Heuernte auf unserer Veranstaltung "Anno Domini 1763 - Endlich Frieden" hier die Ernte der Molckensteiner Wiese darstellend - hay harvest on our Event "Anno Domini 1763 - Endlich Frieden", here representing the harvest on the meadow of Molckenstein, 2013 (Foto: Michael Paulick)
The greatest change in the agriculture of the area around Schwäbisch Hall was the abandonment of the wine growing. During the 17th century the wine growing was still encouraged by subventions. After 1750 that was stopped forever. The vineyards were replaced by grass and orchards. Furthermore many innovations came, which were supported by the pastor of Kupferzell Johann Friedrich Mayer (1719-1798) and presented to a bigger public by books like „Beyträge und Abhandlungen zur Aufnahme der Land- und Hauswirthschaft nach den Grundsätzen der Naturlehre…“ (1769-1784). For example Mayer examined the use of the oats rakes and the economic advantage in comparison with the sickle for the grain harvest.

The abolition of the commons in the 1760s had not only a great impact on the agricultural procedures but on the rustic community too.  Different factors led to the problem that in the area the proportion of peasants who had a farm, from which they could live, was in decline. Statistics from around 1720 list only "65 complete peasants, 480 halve peasants, 346 quarter peasants, 612 "Söldner" (peasants with a very small farm, from which they could not live) and 97 housemates". 
These many registers of the districts, which I used for research over a decade, give an impression for the value of the complete and halve farms. A complete farm normally had the value of 1.400 florins, halve a farm was valued 700-800 florins*. 
It seems that the situation of the peasantry of Hall was not as harsh as the situation in the area of Mainhardt, who suffered under the decline of the glassmaking industry after the 30-years war and who rebelled without success against their rulers since 1750.

Bauern vor Amtsperson auf der Schützenscheibe des Amtsschreibers Friedrich Franz Bonhöffer, 1792 - peasants before a administrator on a target of Friedrich Franz Bonhöffer, 1792 (Hällisch-Fränkisches Museum, Foto: Cecilia Hanselmann)

Eine solche Bedrückung lässt sich im Hällischen nicht ausmachen. Die Amtsrechnungen liefern einige Hinweise auf die tatsächliche Auswanderung indem die Auswanderer ihre Habe im Zuge der Nachsteuer versteuern oder Handlöhne zahlen mussten. Die Leute zogen oft aus familiären Gründen wie einer Vermählung in benachbarte Territorien. Ein ganz typisches Beispiel ist der Hausgenosse Leonhard Engelert, der sich nach Mainhardt verheiratete. Das zu versteuernde Erbe seiner Mutter betrug lediglich 73 Gulden und 10 Schillinge[9]. Ausgesprochen weit hat es die arme Tochter des Jacob Hoffmann verschlagen, die anlässlich einer Hochzeit 1769 in die Kurpfalz ging[10]


Such a oppression isn’t noticeable in the territory of Hall. The accounts of the district’s administration give hints of actual emigration, because the emigrants had to tax their belongings or to pay the “Handlöhne”. The folks often moved in neighboring territories due to family affairs or marriages. A typical example is the housemate Leonhard Engelert, who married to Mainhardt. His maternal heritage was 73 florins and 10 shillings only. Particularly far moved the poor daughter of Jacob Hoffmann, who went to the electorate of Palatine in 1769 by marriage.   

Insgesamt kann man sagen, dass entgegen der Tendenz, dass das Leben auf dem Land durch verschiedene Faktoren nicht einfacher wurde, es im Hällischen Territorium zu keiner großen Auswanderung in ferne Länder kam. Die Landleute gingen bisweilen aus verschiedenen Gründen in benachbarte Gebiete. Dabei spielte natürlich die Konfessionelle Bindung auch eine Rolle. So ging man nicht in katholische Nachbarstaaten.

Dass das bei den Anwerbungen fürs Militär ganz anders war, werden wir in unserem finalen Beitrag zu dem Thema untersuchen.

All in all you can say, that the tendency that the life in the countryside didn’t became easier, didn’t forced the rural folks of Hall into emigration. The countrymen sometimes went in neighboring territories due to different reasons. The confessional ties played a role too. So they didn’t go in catholic neighboring states.

That this was different in the case of recruitment for the professional military will be a topic for our final post.  

Text: André Hanselmann
Fotos: Cecilia Hanselmann, Michael Paulick und Kim Krawiec

* Um eine so große Summe zu verstehen, muss man sich vergegenwärtigen, dass der Stättmeister (Bürgermeister) von Hall 1771 225 Gulden im Jahr bekam[11], eine Magd um die 8-12 Gulden und ein Diener 50-80 Gulden (abhängig von der Stadt, wo er diente).
To understand such a great deal of money, you have to remember that the mayor of Hall got 225 florins per annum, a housemaid in Hall ca. 8-12 florins per anum, a manservant 50-80 florins per anum (depending on the town where he served in Germany).



[1] Johann Friedrich Reichardt. „Vertraute Briefe Über Frankreich: Auf Einer Reise Im Jahr 1792 geschrieben“ Unger, Berlin, 1792, S. 46
[2] Gerd Wunder: „Stadt und Land“ S. 31
[3] Beate Iländer: „Verfassung und Verwaltung der Reichsstadt Schwäbisch Hall vom Ende des Dreißigjährigen Krieges bis zum Ende der Reichsstadtzeit (1648-1806)“ Steinmeier, Nördlingen, 2001, S. 93
[4] Iländer, S. 255
[5] Dr. Andreas Maisch: „Ochsen nach Paris?“ S. 36
[6] Kurt Meider: „Vom Feldbau zur Landwirtschaft“ in: Badisches Landesmuseum (Hrsg.) „Barock in Baden-Württemberg“ Band 2, G. Braun, Karlsruhe,  1981, S. 427-443
[7] Heinrich Mehl: „Das ländliche Hohenlohe im Zeitalter Napoleons“ in: „Baden und Württemberg im Zeitalter Napoleons“ Band 2, Edition Cantz, Stuttgart, 1987, S. 701-702
[8] Gerhard Fritz: Vaganten, „Jauner, Räuber in Hohenlohe, insbesondere im 18. Jahrhundert“ in Historischer Verein für Württembergisch Franken“ (Hrsg.) „Jahrburch Württembergisch Franken“ 2002, S. 424
[9] Amtsrechnung Amt Rosengarten 1768/69, S. 14 f, Stadtarchiv Schwäbisch Hall Sig. 4/4589
[10] Amtsrechnung Amt Rosengarten 1769/70, S. 13 f, Stadtarchiv Schwäbisch Hall Sig. 4/4590 
[11] Iländer, S. 305

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