Freitag, 17. November 2017

Unbewaffnete Bauern? / Unarmed peasants?



Ich bin neulich beim Ansehen der Doku „Der Dreißigjährige Krieg - Von Feldherren, Söldnern und Karrieristen" (BR, 2011) auf die Aussage des durch sein Tagebuch berühmt gewordenen Peter Hagendorf gestoßen, er  sei überrascht und verärgert über die Bauern gewesen, da er aus seiner Sichtweise Bauern nicht das Führen von Waffen zugestanden habe, was einzig seinem, dem Soldatenstand, zugestanden habe. Er war von solchen bewaffneten Bauern überfallen und beraubt worden, als er völlig betrunken den Anschluss an seine Truppe verloren hatte.

I was astonished when I heard in the documentary „Der Dreißigjährige Krieg - Von Feldherren, Söldnern und Karrieristen" (BR, 2011) the statement by Peter Hagendorf (the today famous author of a contemporary diary), that he was surprised and upset because there were some armed peasants. In his opinion the peasants were not allowed to carry weapons; that should be the right only to the soldiers like him. He was attacked and robbed by some armed peasants when he lost his troops because he was totally drunk.

Stangenwaffen in den Räumen zum 30jährigen Krieg im Hällisch Fränkischen Museum Schwäbisch Hall




Nun, war es denn tatsächlich so, dass ein Zeitgenosse davon ausgehen musste, Bauern seien stets unbewaffnete, leichte Opfer und nie dazu ausgerüstet Angreifer zu werden?
Was ich bisher gefunden habe sind Aussagen wie in einem Buch über den badischen Landsturm, worin es heißt dieser habe 1590 statt der langen Piken nur leichtere, kürzere Spieße bekommen, da diese von den Bauern leichter zu bedienen waren. Obendrein heißt es dort, trügen die Bauern ja sowieso immer ob auf dem Weg zum Markt oder hinter dem Pflug eine Seitenwehr (wohl die sogenannte Bauernwehr)[1]. Recht gut ist auch die Bewaffnung der vorderösterreichischen Landfahnen belegt, also auch dieser Milizen, die in Städten und Dörfern im österreichischen Streubesitz rund um Freiburg aufzubieten waren.

Was it the case, that a contemporary thought that all peasants were unarmed and perfect victims and never equipped to become the attacker? What I learned are testifies in a book about the militia in Baden, that the long pikes were too difficult to handle for the poor peasants and in 1590 they get instead light and short spears. Additionally it’s mentioned that the peasants always carried their “Seitenwehr” (traditional long knifes). Really well known is the weaponry of the militia (the “Landfahnen”) of Outer Austria, the towns and villages in the country around Freiburg.

Sehr gute Kenntnisse habe ich mittlerweile über die Bewaffnung der Bauern in einem Dorf im Territorium von Schwäbisch Hall namens Tüngental. Im Zuge der Musterung der Dorfbevölkerung wurden auch die Waffen verzeichnet worüber die Bauern verfügten. 1567 hatten von den 42 verzeichneten Einwohnern 26 % Knebelspieße, 21 % Büchsen, 11 % Hellebarden und 2 % lange Spieße. Einige hatten sogar Rüstungsteile wie Helme. Im nahen Hessental gab es sogar 63 verzeichnete Einwohner. Davon besaßen 37 % Knebelspieße, 26 % Büchsen, 17 % Hellebarden und 3 % lange Spieße, 22 % verfügten sogar über Helme. Nur 17 % hatten keine Waffen[2].

Actually I got really good informations about the weaponry of a village in the territory of Schwäbisch Hall named Tüngental. In the course of the inspection of the inhabitants by the government the weapons were recorded. In 1567 there were 42 inhabitants mentioned. 26 % of them had short pikes, 21 % rifles, 11 % halberds and 2 % long pikes. That leads us to 40 % who were unarmed. Some of them even had some sort of armor like helmets. Even more armored were the inhabitants of Hessental. 37 % had short pikes, 26 % rifles, 17 % halberds and 3 % long pikes. Only 17 % had no weapons at all. 22 % had helmets.

Dieselbe Quelle zeigt auch eine kleine Entwicklung hin in die für unsere April-Veranstaltung interessante Zeit. 1619 gab es nämlich 60 aufgelistete Einwohner aus Hessental. Die langen Spieße hatten mittlerweile die Kurzspieße fast völlig verdrängt. Den größten Anteil aber machten nun Musketen aus. 47 % der Einwohner hatten Musketen, 23 % lange Spieße, 20 % Hellebarden, 3 % Schlachtschwerter und 3 % kurze Spieße. Nur 4 % hatten keinerlei Bewaffnung!

The same source shows us some development. It is even more interesting for our event in April next year because the list dates from 1619.  This year there were 60 inhabitants listed from Hessental. The long pikes had repressed nearly completely the short pikes or spears. But the greatest part of the peasant’s weaponry was made up by muskets. 47 % had muskets, 23 % long pikes, 20 % halberds, 3 % battleswords and 3 % short pikes. Only 4 % had no weapons at all!

Vielleicht handelt es sich bei den meisten der Hessentaler “Musketen” auch um dieselben Schusswaffen wie 1567 und mal wurden sie “Büchsen” und mal “Musketen” genannt. Was aber festzuhalten ist, ist dass da ein Dorf massiv bewaffnet war. In zahlreichen Dörfern hätte also ein Angreifer mit einem bewaffneten Widerstand rechnen müssen. Wie kommt aber das Bild vom schutzlosen Bauern zustande? Zeitgenössische Darstellungen wie diese von Hans Ulrich Francke https://www.habsburger.net/de/medien/hans-ulrich-franck-ein-reiter-von-zwei-soldaten-mit-axten-attackiert-radierung-1643-0 zeigen Bauern mit Werkzeugen wie Äxten bewaffnet, bisweilen auch mit Keulen und Stöcken. Vielleicht kamen die Waffen bis in Franckes Zeiten abhanden oder er illustrierte das Geschehen in Gegenden, wo es keine Landfahnen gab. Als Gegenbeispiel wären aus den 1620ern die sogenannten „Harzschützen“, die schon dem Namen nach mit Feuerwaffen bewaffnet waren.

Perhaps most of the muskets in Hessental were the same weapons like the firearms in 1567, one time called “Muskete” (musket) and one time called “Büchse” (rifle). What is important to note is, that there was a village heavily armed. In many villages, I assume, the attackers would have to expect armed resistance. How was the picture of the unarmed poor peasants created? Contemporary pictures like these by Hans Ulrich Francke  https://www.habsburger.net/de/medien/hans-ulrich-franck-ein-reiter-von-zwei-soldaten-mit-axten-attackiert-radierung-1643-0 show us peasants with tools like axes, sometimes with walking sticks or clubs. Maybe the peasant’s weaponry was lost in the years before Francke’s period or he illustrated the situation in countries without the systems of “Landfahnen” – local militia. As a contrary example of equipped peasants we know the “Harzschützen” in the 1620s which were armed with firearms even by name!

Ich hoffe euch hat der Exkurs ins Thema bewaffnete Bauern gefallen. Mehr dazu vielleicht ein andermal.

I hope you enjoyed the entry about armed peasants. Perhaps more about it later.

Text: André Hanselmann
Foto: Kim Krawiec


     


[1] Ernst Julius Leichtlein: „Baden's Kriegs-Verfassung, insbesondre Landwehr und Landsturm im 17ten Jahrhundert“ Karlsruhe, 1815, S. 27
[2]  Prozessakten des Prozesses zwischen Schwäbisch Hall und Comburg wegen der Einführung katholischer Riten in der Reichsstadt unterstehenden Dörfern, Stadtarchiv Schwäbisch Hall Sig. 15/18

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