Sonntag, 2. Januar 2022

Der böse Amtmann von Wahlsdorf - The evil bailiff of Wahlsdorf (Karl May)

Mich interessiert ja durch meine Darstellung sehr wie ein Amtmann gelebt hat, da ich die Rolle selber in Wackershofen übernehme. Aus der selben Perspektive finde ich Dienstboten spannend [1]. Ich habe mich schon desöfteren hier im Blog [2] aber auch an anderer Stelle zu dem Thema vor allem des Amtmannes im Amt Rosengarten geäußert [3]. Ich greife gerne alle möglichen Informationen über Amtmänner auf, wo ich sie nur finden kann. Die Lebensumstände dieser Beamten sind von Region zu Region vollkommen unterschiedlich. Mal lebten sie inmitten der Bauern auf dem Dorf, mal auf einer Burg wie der Ministeriale des Hochmittelalters oder auch wie beim Beispiel "meines" Amtmannes in der Stadt Schwäbisch Hall ohne einen erkennbaren Dienstsitz.

Karl May (1842-1912) porträtierte nun auf seine eigene Weise 1875 im Rahmen seiner Erzählung "Ein Stücklein vom Alten Dessauer" einen Amtmann der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Natürlich muss man berücksichtigen, dass May kein allzugroßer historischer Wahrheitsgehalt zuzubilligen ist. So hatte Karl May beispielsweise in "Die Kriegskasse" von 1878 kein Problem damit Feldmarschall Blücher als einen engen Vertrauten der Lützower darzustellen, welche in dieser Novelle gar 1814 am Rhein seine Eskorte stellen[4].  

I am very interested in how a bailiff lived because of my portrayal, since I take on the role myself in Wackershofen. From the same perspective, I find servants exciting [1]. I have already expressed myself several times here in the blog [2] but also elsewhere on the subject, especially of the bailiff in the Rosengarten office [3]. I like to pick up all kinds of information about officials wherever I can. The living conditions of these officials are completely different from region to region. Sometimes they lived in the middle of the farmers in the village, sometimes in a castle like the "Ministeriale" of the High Middle Ages or, as in the example of "my" bailiff in the city of Schwäbisch Hall, without a recognizable official office (bureau).

Karl May (1842-1912) now portrayed a bailiff from the first half of the 18th century in his own way in 1875 as part of his story "A little piece of the old Dessauer". Of course, one has to take into account that May is not too historically truthful. For example, in "Die Kriegskasse" from 1878 Karl May had no problem portraying Field Marshal Blücher as a close confidante of the Lützower, who in this novella even provided his escort on the Rhine in 1814 [4].

Der Amtmann vom Amt Rosengarten auf einer unserer Veranstaltungen. Karl Mays Amtmann Hiller wird wohl keine solche Kleidung getragen haben, die eher die eines Ratsherrn ist. - The bailiff from the Rosengarten office at one of our events. Karl May's bailiff, Hiller, will probably not have worn clothing like that of a councilor.


Ich will hier kurz die Handlung von Karl Mays Erzählung umreißen. Man wird am Anfang in die Situation geworfen, dass sich ein gewisser Amtmann Hiller beim Alten Dessauer meldet, der ihm empfiehlt eine Menge Bauernburschen auf einem Tanzboden zwangsrekrutieren zu können [5]. Hiller gilt im Umkreis des Fürsten von Anhalt als ein geeigneter Beamter. Doch kommt Fürst Leopold I. (1676-1747) rasch Hiller auf die Schliche, dass dieser mit dieser Rekrutenwerbung sich nur den jungen Wilhelm Schmidt vom Halse schaffen will, welchen eine gewisse Annemarie liebt. Annemarie aber soll aus Sicht der Hillers den Sohn des Amtmannes heiraten, was den Hillers umso besser scheint, da sie die Tochter des offenbar wohlhabenden "Wiesenbauers" ist. Fürst Leopold fühlt sich aber zu Hillers Pech just Wilhelms Vater gegenüber verpflichtet, da der alte einarmige Veteran Schmidt vor Jahren das Leben des Fürsten gerettet hatte. Der Fürst verkleidet sich nun und kommt in das Dorf Wahlsdorf. Zufälligerweise bedient sich der für den Amtmann unkenntliche Fürst just an den Pflaumen in Hillers Garten. Daraufhin lässt der Amtmann den Pflaumendieb durch einen sogenannten Wächter Jörge gefangen ins Spritzenhaus führen, welches in Ermangelung eines richtigen Gefängnisses zur Unterbringung von Gefangenen dient. Mit seiner Großzügigkeit und seinem Charisma gelingt es dem vermeintlichen Vagabunden nun Jörge dazu zu bringen mit ihm unterwegs ins Wirtshaus zu gehen, wo der Fürst noch mehr über den Charakter von Amtmann Hiller erfährt. Als es dem Amtmann endlich gelingt den Gefangenen ins Spritzenhaus zu stecken wird es demselben zu bunt und er reißt aus - nicht ohne Amtmann und Wächter ihrerseits in dem "Gefängnis" einzusperren. Der nunmehr freie Fürst begibt sich zu seinem Getreuen Schmidt und tritt dann am Abend auf der Verlobung von Annemarie mit Eduard Hiller auf. Dort gibt sich der Fürst endlich zu erkennen und setzt nicht nur den untauglichen Amtmann Hiller, der sogar das Verstecken eines Deserteurs auf dem Kerbholz hat, ab sondern lässt auch den groß gewachsenen Eduard Hiller unter seine Soldaten stecken. Als Vollendung des Glücklichen Ausgangs wird Wilhelm Schmidt an Hillers Stelle vom Fürsten zum Amtmann ernannt - auch zur Freude des Wiesenbauers, der nun einen Amtmann immerhin zum Schwiegersohn bekommt.


Let me briefly outline the plot of Karl May's story. At the beginning you are thrown into the situation that a certain bailiff Hiller reports to the old Dessauer, who recommends him to be able to force-recruit a lot of farm boys on a dance floor [5]. Hiller is considered a suitable civil servant in the vicinity of the Prince of Anhalt. But Prince Leopold I (1676-1747) quickly discovered to Hiller that he only wanted to get rid of the young Wilhelm Schmidt, whom a certain Annemarie loves, with this recruitment. From the Hillers' point of view, however, Annemarie should marry the bailiff's son, which seems all the better to the Hillers because she is the daughter of the apparently wealthy "meadow farmer". Prince Leopold feels obliged to Hiller's bad luck towards Wilhelm's father, since the old one-armed veteran Schmidt had saved the Prince's life years ago. The prince now disguises himself and comes to the village of Wahlsdorf. Coincidentally, the prince, unrecognizable for the bailiff, is using the plums in Hiller's garden. Thereupon the bailiff has the plum thief captured by a so-called guard Jörge lead into the syringe house, which in the absence of a real prison is used to accommodate prisoners. With his generosity and charisma, the supposed vagabond succeeds in getting Jörge to go with him to the pub on the way, where the prince learns more about the character of bailiff Hiller. When the bailiff finally succeeds in putting the prisoner in the syringe house, it becomes too colorful for him and he runs away - not without locking up the bailiff and guards in the "prison" for their part. The now free prince goes to his faithful Schmidt and then appears that evening at Annemarie's engagement to Eduard Hiller. There the prince finally reveals himself and not only puts down the unfit bailiff Hiller, who even has the hiding of a deserter on the kerbholz, but also lets the tall Eduard Hiller be stuck with his soldiers. To complete the happy ending, Wilhelm Schmidt is appointed bailiff in place of Hiller by the prince - also to the delight of the meadow farmer, who is now getting a bailiff as his son-in-law.

Welche Bilder liefert nun diese Geschichte? Am Anfang wird aufgezeigt, dass sich der Fürst von der fachlichen Qualifikation Hillers blenden lässt. Dann aber lässt sich der volksnahe Fürst rasch von der Eignung Wilhelm Schmidts überzeugen, als dieser ihm die Gegend zeigt. Dass Wilhelm Schmidt keine juristischen Kenntnisse oder auch nur anderweitiges aufweisen kann, was ihn zum Posten des Amtmannes empfiehlt ist unbekannt. Man kann des Fürsten Entscheidung insbesondere die Einsetzung Wilhelms als eine Art "positive" Fürstenwillkür sehen. Man erlebt keinerlei zivile Minister oder dergleichen, die über die Besetzung mitentscheiden oder zumindest beraten.

Im Mittelpunkt der Novelle steht sicherlich die Absicht den Alten Dessauer positiv zu charakterisieren als fürsorglichen, dankbaren und pragmatischen Landesvater. An der Praxis Landeskinder mit Zwang in die offenbar preußischen Dienste zu rekrutieren wird keinerlei Anstoß genommen. 

Was sagt uns die Erzählung nun aber über den Amtmann als solchen? Hiller wird als von einem Schlag Leute beschrieben, die der Kriegsmann Leopold I. nicht mag und der lange Schreiben aufsetzt. Der Amtmann weiß wie man seine Machtstellung, die ihm von seinem Fürsten verliehen wurde (er bekam seine Ernennung, als der Fürst nicht in Dessau weilte!), gegenüber den Untergebenen ausnutzt. Entsprechend unbeliebt ist Hiller. Das fällt nicht nur in den Reden im Wirtshaus auf, sondern auch als sich die Dorfbewohner darüber amüsieren, als Hiller im Spritzenhaus festsitzt. 

Hiller wohnt inmitten der Bauern mit seiner Familie auf dem Dorf. Er scheint wie ein Bauer auch eine Landwirtschaft zu betreiben. In juristischen Formalien erkennt man keine besondere Qualität. Aber man hat auch eher den Eindruck, dass Karl May die Funktion des Amtmannes mit der des Schultheißen verwechselt. Denn Hiller instruiert nicht etwa einen Schultheißen den vermeintlichen Vagabunden zu verhaften sondern lässt es seinen "Wächter" übernehmen, der scheinbar auch als Hillers Knecht fungiert. Letzteres wird dadurch nahe gelegt, dass Jörge offensichtlich Hiller sehr gut kennt. 

What images does this story provide? At the beginning it is shown that the prince allows himself to be dazzled by Hiller's professional qualifications. But then the prince, who is close to the people, is quickly convinced of Wilhelm Schmidt's suitability when he shows him the area. It is unknown that Wilhelm Schmidt has no legal knowledge or anything else that recommends him for the post of bailiff. One can see the prince's decision, especially the appointment of Wilhelm, as a kind of "positive" prince's arbitrariness. You don't see any civil ministers or the like who help decide or at least advise on the occupation.

The focus of the novella is certainly the intention to characterize the old Dessauer positively as a caring, grateful and pragmatic father of his country. In the practice of forcibly recruiting local children into the apparently Prussian services, no offense is taken.

But what does the story tell us about the bailiff as such? Hiller is described as a kind of person whom the warrior Leopold I does not like and who writes long letters. The bailiff knows how to use his position of power, which was bestowed on him by his prince (he got his appointment when the prince was not in Dessau!), Against the subordinates. Hiller is correspondingly unpopular. This is not only noticeable in the speeches in the inn, but also when the villagers are amused when Hiller is stuck in the syringe house.

Hiller lives in the middle of the farmers with his family in the village. He seems to be farming like a farmer. There is no particular quality to be seen in legal formalities. But one also has the impression that Karl May is confusing the function of bailiff with that of mayor. Because Hiller does not instruct a mayor to arrest the supposed vagabond, but lets his "guard" take over, who apparently also functions as Hiller's servant. The latter is suggested by the fact that Jörge obviously knows Hiller very well.

Sehr authentisch ist die Problematik, dass es einen Mangel an einem geeigneten Gefängnis auf dem Dorf gibt. Aus dem Grunde wurden ja im frühen 19. Jahrhundert in Württemberg diese kleinen Arrestzellen errichtet wie eine im Freilichtmuseum Wackershofen steht. Behelfsgefängnisse wie hier das Spritzenhaus [6] oder eine verschließbare Kammer auf einem Wirtshaus oder dergleichen bringen nicht die nötige Sichertheit mit sich (weswegen ja auch andernorts Burgen mit entsprechenden Räumlichkeiten auch gern als Amtssitze weiter genutzt wurden). 

Karl Mays Erzählung hat also ein Kernchen Wahrheit sofern er die Facette des Amtmannes anreißt, die ja sogar im Mittelpunkt steht. 

The problem that there is a lack of a suitable prison in the village is very authentic. For this reason, these small detention cells were built in Württemberg in the early 19th century, like one in the Wackershofen open-air museum. Makeshift prisons such as the syringe house [6] here or a lockable chamber in an inn or the like do not provide the necessary security (which is why castles with corresponding rooms were also often used as official seats elsewhere).

Karl May's story has a core of truth if he touches on the facet of the bailiff, which is actually the focus.


Text: André Hanselmann

Foto: Cecilia Hanselmann


Verweise /notes:

1) siehe: https://wackershofenannodomini.blogspot.com/2021/01/dienstboten-im-18-jh-servants-duringt.html

2)  siehe auch hier: https://wackershofenannodomini.blogspot.com/2015/10/anno-domini-1762-jagdstreitigkeiten-im.html

3) André Hanselmann: „Landfriedensbruch an der Roten Steige?“ Kleine Schriften aus dem Hohenloher Freilandmuseum Nr. 21, 2014

4) "Eine kleine Episode aus einer großen Zeit von E. Pollmer". In: "Frohe Stunden. Unterhaltungsblätter für Jedermann. Sammlung der neuesten und besten Romane und Novellen unserer beliebtesten Schriftsteller der Gegenwart". 2. Jg. Nr. 17–20. S. 301–303 u. 317–319. – Dresden, Leipzig: Bruno Radelli (1878).S. 303 f.

5) Karl May: "Ein Stücklein vom Alten Dessauer" In: Deutsches Familienblatt. Wochenschrift für Geist und Gemüth zur Unterhaltung für Jedermann. 1. Jg. Nr. 1–2. S. 12–16 u. 24. – Dresden: H.G. Münchmeyer (1875). 

6) Spritzenhäuser werden in den Feuerordnungen oder in den Dorfordnungen im Hällischen nicht erwähnt. - Such syring houses are not mentioned in instructions for fire or instructions of villages in the territory of Hall as far as I know.

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